"Wir sind GrandPrix", wenn auch nur auf Platz 8.
Zuerst die gute Nachricht: Europa hat sich doch noch lieb! Zwar nur im Fernsehen und auch da gibt es weder Punkte aus Griechenland für Deutschland, noch umgekehrt, aber fernab von allen Währungskrisen und den sonstigen kulturellen Differenzen sind doch wenigstens am Abend des Eurovision Song Contests alle vereint und lieb zueinander. Wenn das mal nichts ist! 120 Millionen Zuschauer sitzen an den Bildschirmen verteilt über Europa und die Welt und wohnen dem Multikulti-Spektakel bei. Wem klingt da schon noch Angela Merkel mit ihrer völligen Fehleinschätzung im Ohr: "Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!"?
Pah! Im Gegenteil. Es sollte vielmehr in Europa auf die Kraft der Musik gesetzt werden - so könnten die Staaten mit den höchsten Punktzahlen die höchsten Eurohilfen aus Brüssel bekommen. Oder demnächst werden wenigstens Rettungsschirme für die Länder, die besonders schlecht abschneiden, aufgespannt. Großbritannien hätte es trotz/wegen Engelbert Humperdinck beispielsweise nötig - vorletzter Platz; nur Norwegen war schlechter.
Nebenher ist der Eurovision Song Contest noch der beste Botschafter der Demokratie in Europa! Keine Sekunde wurde nicht genutzt, um auf die Demokratiedefizite in Aserbaidschan, dem diesjährigen Gastgeberland, hinzuweisen. Sonst hätte wohl kaum jemand auf der Agenda, dass in Baku Menschenrechte und Meinungsfreiheit nicht ganz hoch oben im Kurs der Regierung stehen. Was sich da für diplomatische Möglichkeiten ergeben! All die Länder die dringend den demokratischen Geist des ESC nötig hätten: Ukraine, Russland, Syrien, Brandenburg! "Zwölf Punkte aus Iran an Israel!" - dem Weltfrieden so nah.
Daneben wurde dieses Jahr neben Demokratie noch für gerontologische Positivdiskriminierung innerhalb des Wettbewerbs gesorgt: Mit Buranowski Babuschki traten für Russland sechs Omis im Trachtenlook an, die älteste Teilnehmerin ist stolze 86 Jahre alt. Mit dem eingängig-philosophischen Text "Party for everybody - dance!" und Kekse backen auf der Bühne gab es immerhin den 2. Platz. Was tut die Gleichstellungsbeauftragte der Bundesregierung eigentlich um die Wogen zwischen den Generationen zu glätten? Und gibt es überhaupt eine/n Gleichstellungsbeauftrage/n der Bundesregierung?
Die letzte Amtshandlung wäre nun nur noch Songcontest-Moderator Peter Urban heilig zu sprechen oder als neuen EU-Ratspräsidenten vorzuschlagen. Denn mit Kommentaren wie zum moldavischen Beitrag "der Hufschmied mit den tanzenden Lampenschirmen" ist Urban der geeignete Kandidat für Völkerverständigung auf die ironische und sympathische Art. Und die wichtigste Lehre wäre sowieso alles nicht so bierernst zu nehmen. Für die Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa scheint zumindest der ESC einen größeren Beitrag zu leisten als das gesamte Europäische Parlament zusammen - oder schauen Sie diesem bei Debatten genauso mitfiebernd zu und wünschen Abgeordneten aus Italien zwölf Punkte? Na also!
Und nun noch die schlechte Nachricht: Auf den nächsten großen Schritt zur Europäisierung müssen wir nun leider 364 Tage warten. Dann kommt der nächste ESC aus Stockholm. Und falls es bis dahin den Euro nicht mehr geben sollte, keine Angst, den Eurovision Song Contest gibt es bereits seit über 60 Jahren: die Chancen stehen demnach gut, dass er den Euro, die Merkel, die Krise und Ralph Siegel auch noch überdauern wird. Und wenn Sie nun noch ihren eigenen Beitrag leisten möchten, dann nehmen sie ihr Handy, rufen irgendeine Nummer an und wünschen Weltfrieden.
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