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Ukraine | Eine Kaste schlägt zurück

Резюме:Präsident Selenskyj ist im Kampf gegen die anhaltende Korruption mit dem Verfassungsgericht schwer aneinander geraten
Eine Kaste schlägt zurück

Revolutionen, so die von 2014 in der Ukraine, suspendieren geltendes Verfahrensrecht – sie sind definiert als Aufhebung der „Rule of Law“. Eben dazu schickt sich der Staatschef Wolodymyr Selenskyj nun an: Er will, dass die Verfassungsrichter in toto entlassen werden. Dieses Ansinnen ist eine Art letzte Konsequenz der Anti-Korruptionsstrategie, die der Ukraine von ihren westlichen Partnern auferlegt ist. Dagegen wenden sich die Rule-of-Law-Verteidiger eben dieses Westens, die Venedig-Kommission des Europarates und dessen Anti-Korruptions-Einheit GRECO. Sie verteidigen das Verfassungsgericht in Kiew mit dem Argument: Der Kampf gegen Korruption dürfe nicht durch Bruch der Verfassung geführt werden – die bekannte Konfliktlinie: Form gegen Inhalt beziehungsweise Gesetz gegen Recht.

Zweites Zuckerbrot

Die Kultur der Bestechlichkeit ist in der Ukraine habituell tief verankert. Es handelt sich um systemische Korruption, politisch abgesichert durch die Korruptheit der politischen Institutionen. Die Bürger mögen bei Wahlen Parteien wählen, wie sie wollen, letztlich bilden sich in der Legislative immer „Fraktionen“ nicht gemäß Wahlergebnis und Wählerauftrag, sondern in Abhängigkeit von den Finanzen der Oligarchen. Abgesichert wird damit nicht zuletzt der Zugriff auf die Strafverfolgungsbehörden, was wiederum durch eine Beteiligung des obersten Gerichtswesens an den Früchten der Korruption abgesichert ist. Mit anderen Worten, dies garantiert Klassenjustiz. Erkennbar wird das unter anderem an der Art und Weise, wie in der Ukraine Mitglieder des Obersten Gerichts oder Chefs der Strafverfolgungsbehörden privat residieren. Wer das in Augenschein nimmt, der weiß: Recht ist käuflich. Anders lässt sich der Lebensstil dieser Kaste nicht erklären.

Die Oligarchen sind das Symbol dieses Systems, verkörpern aber nur seine Spitze. Dazu gehören ebenso Politstars wie Julija Tymoschenko, besonders geschätzt durch die konservative Europäische Volkspartei (EVP), wie der 2014 gewählte Präsident Petro Poroschenko (im Amt bis 2019). Wer zu dieser Kaste gehört, hat einen zweiten Wohnsitz in der Ukraine und einen ersten im Ausland, für die „Not“ und zur Vermögenssicherung in Gaststaaten, die hinsichtlich ihres Umgangs mit Geldwäsche einen entsprechenden Leumund haben.

Russland hatte dieses System lange durch Gasverträge und Kredite begünstigt. Als der ukrainische Staat mit seiner speziellen Kultur das Lager wechselte, wünschte Wladimir Putin am 30. März 2014 in einem Brief den westlichen Staatschefs viel Glück bei der nun an sie übergegangenen Aufgabe, die Fremdalimentierung zu begrenzen. Er wusste, wovon er sprach. Die Kreditvergabe für die finanziell chronisch unterversorgte Ukraine schultert seither die EU im Verbund mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Tranchen wurden nicht bedingungslos vergeben, sondern im Tausch gegen eine rechtsstaatliche Reformpflicht zur perspektivischen Unterbindung der grassierenden Korruption.

Unumkehrbare Folgen

Der Reformweg beinhaltet dreierlei: adäquate Antikorruptionsgesetze, den Aufbau neuer justizieller Institutionen, unter anderem einer auf Korruption spezialisierten Strafverfolgungsbehörde wie einer entsprechenden Gerichtsbarkeit, und, drittens, die Gewinnung unbelasteten Personals für die neuen Justizorgane. Bis es soweit ist, alimentieren die westlichen Geldgeber im hoffnungsvollen Vertrauen auf die Zukunft weiterhin. Um diese Finanzierungslast zu mindern, behindern die USA und einige EU-Staaten den finalen Ausbau der Pipeline Nord Stream 2, damit die Ukraine aus dem Pipelinesystem auf ihrem Territorium weiterhin marktferne Monopolrenten abschöpfen kann, um sie ihrem Staatshaushalt zuzuführen. EU und IWF wissen vermutlich, dass sie ihre Zuwendungen, die sie in den Kampf gegen die systemische Korruption investiert haben, eines Tages abschreiben müssen.

Freilich hat das Konzept des Westens, eine wirksame Korruptionsbekämpfung innerhalb der ukrainischen Justiz zu etablieren, mit dem Verfassungsgericht eine verletzliche Stelle, an der alles scheitern kann. Dessen Personal stammt noch aus der Zeit des Präsidenten Janukowitsch und wurde von dessen Nachfolger Poroschenko im Amt belassen, was der Westen akzeptiert hat. Dabei wirft die Rolle dieses Staatschefs bei der Korruptionsabwehr, seine Unterstützung durch den mit ihm privat verbandelten Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko sowie die verweigerte Neuberufung von Richtern am Verfassungsgericht die Frage auf, weshalb die westlichen Schutzmächte tatenlos zusahen. Denn die Spitzen des Korruptionssystems sicherten sich Verteidigungslinien, um in Ruhe zuzuschauen, wie die externen Geldgeber ihr System alimentierten. Und das mit einem mehrstelligen Milliardenbetrag.

Selenskyjs Agenda

Korruption Als Wolodymyr Selenskyj 2019 bekanntgab, sich um die Präsidentschaft zu bewerben, war das mit keinem detaillierten Wahlprogramm verbunden. Er versprach Frieden im Donbass, sobald die von den Separatisten beherrschten Gebiete zurückgeholt seien. In nicht allzu ferner Zeit – so die Ankündigung – solle es Olympische Sommerspiele in Simferopol, der Hauptstadt der inzwischen Russland angeschlossenen Krim geben, vorausgesetzt, die Region sei wieder Teil der Ukraine. Eine Priorität war über jeden Zweifel erhaben: das Eindämmen der Korruption. Es gelte unhaltbare Zustände zu überwinden, sagte Selenskyj und verwies auf seine Rolle in einer populären Fernsehserie, in der er einen Geschichtslehrer spielt, der unfreiwillig zum ukrainischen Präsidenten gewählt wird und vergeblich gegen die Oligarchen des Landes kämpft. Bei seinem jetzigen Konflikt mit dem Verfassungsgericht setzt Selenskyj wieder auf das Fernsehen, wenn er dort auftritt und erklärt, man müsse nunmehr den gesamten Justizapparat erneuern.

Dennoch fühlte sich das Verfassungsgericht veranlasst, einzuschreiten. In einem Urteil vom 26. Februar 2019 erklärte es den zentralen Artikel des Antikorruptionsgesetzes, wonach Staatsbeamte, die eine Erklärung über die Herkunft ihres Vermögens verweigern, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden können, für verfassungswidrig. Dieser Artikel, eine zentrale Forderung von EU und IWF, war im Jahr 2015 verabschiedet worden. Seither eröffnete das Nationale Antikorruptionsbüro mehr als 50 Verfahren wegen illegaler Bereicherung, die nach Spruch der höchsten Richter niedergeschlagen wurden. Das Verfassungsgericht kam aus der Deckung und setzte sich offen an die Spitze des Widerstandes gegen Antikorruptionsmaßnahmen.

Die G7-Staaten reagierten mit einer Erklärung, die zur Revision dieses Urteils aufforderte. Und nach seiner Amtsübernahme im Mai 2019 veranlasste Präsident Selenskyj den Gesetzgeber, also das Parlament, die inkriminierte Passage des Antikorruptionsgesetzes erneut zu beschließen und in Kraft zu setzen. Zum Gegenschlag kam es am 27. Oktober 2020, als – ausgelöst durch eine Petition von 47 Abgeordneten aus der Parlamentsfraktion des Oligarchen Pintschuk – das Verfassungsgericht feststellte, zwei zentrale Elemente der Antikorruptionsgesetzgebung seien verfassungswidrig: Die Nationale Agentur zur Verhinderung von Korruption (NABU) dürfe nicht länger auf die Vermögensdeklarationen von Amtsträgern zugreifen, die eine Bedingung für jeden Amtsantritt sind. Damit hätten sich sämtliche darauf gestützte Verfahren erledigt. Weiter entschied das Gericht, der NABU-Chef sei rechtswidrig im Amt. Somit war einer Vereinbarung der ukrainischen Regierung mit dem IWF vom Juni 2020 über eine Kredittranche von fünf Milliarden Dollar die Basis entzogen.

Daraufhin entschloss sich Wolodymyr Selenskyj am 30. Oktober zu einem Gesetzentwurf, der auf eine völlige Neubesetzung der Richter am Verfassungsgericht zielt. Dessen Vorsitzender sprach umgehend von „versuchtem Verfassungsputsch“. Nicht zu Unrecht – es geht schließlich um die nächste Revolution.

Die zentralen Institutionen des Europarates schlagen sich im Konflikt der beiden Werte „Rechtsstaat“ und „Korruptionsschutz“ auf die Seite des Verfassungsgerichts und übergehen den Konflikt zwischen Recht und Gesetz. Ob Präsident Selenskyj angesichts der bereits stattgefundenen Neu-Fraktionierung im Parlament für seinen Vorstoß eine Mehrheit erhält, ist offen. Bisher gibt es von dort allein einen unverbindlichen Aufruf an die Verfassungsrichter, von sich aus zurückzutreten. Die Selenskyj-Initiative selbst geriet noch nicht auf die Tagesordnung. Der Ball liegt somit bei IWF und EU, sie müssen sich zum Votum des Europarates positionieren.

Noch ist völlig offen, zu welchen Verzögerungen die derzeitigen rechtlichen Winkelzüge im Antikorruptionskampf führen. Sind damit womöglich unumkehrbare Folgen verbunden, die in Deutschland durch das Beispiel eines justiziellen Betriebsunfalls, des sogenannten Dreher-Gesetzes, noch geläufig sind? Das seinerzeit von Eduard Dreher, Unterabteilungsleiter im Bundesjustizministerium, federführend konzipierte Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) vom 24. Mai 1968 wurde vom Gesetzgeber durchgewunken, weil es niemand unter den Abgeordneten verstand. Als man sich Ende 1968 durch Zeitungsberichte darüber aufgeklärt fand, dass damit einer Verjährung von Kapitalverbrechen aus der Nazizeit Vorschub geleistet wurde, war selbst durch Rücknahme des Gesetzes der ursprüngliche Zustand nicht wieder herstellbar. Ähnliche Effekte sind für die anhängigen Antikorruptionsverfahren in der Ukraine zu erwarten.

Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

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Дата публікації:17.11.2020 7:00:00
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Додано:17.11.2020 7:18:36




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