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Interview | Wir sind Sitzecke

Резюме:Jens Müller arbeitet für eine Buchhandelskette und hält Amazon für einen Fluch
Wir sind Sitzecke

Wer zur Buchmesse fährt, trifft ihn vielleicht. Buchhändler Jens Müller arbeitet seit 25 Jahren in einer Hugendubel-Filiale in Frankfurt. In Zeiten, wo Leute ein Serienepos auf Netflix zu schauen interessanter finden, als ein Epos zu lesen, freut sich Müller über die junge Frau, die nach Anna Karenina fragt. Ist das dünkelhaft? Nein, für Müller spricht nichts gegen einen guten Ernährungsratgeber.

Zur Person

Foto: privat

Jens Müller, 52, arbeitet seit 25 Jahren als Buchhändler in der großen Filiale von Hugendubel an der Frankfurter Hauptwache. Er verantwortet als Abteilungsleiter unter anderem die Bereiche Belletristik, Philosophie, Politik und Geschichte. Er ist mit einer Buchhändlerin verheiratet

der Freitag: Herr Müller, wozu braucht man Buchhändler?

Jens Müller: Das ist eine sehr interessante Frage. Logischerweise würde ich sagen, der Buchhändler hilft dem Kunden die Flut der Neuerscheinungen vorzusortieren. Er kann persönliche, individuelle Ratschläge geben.

Genießen Sie Ihren Beruf?

Immer noch!

Können Sie abends noch Bücher sehen?

Ja, aber da hat sich tatsächlich etwas verändert. Vor zehn Jahren wäre ich nicht über einem Buch eingeschlafen, was heute durchaus mal passiert. Deshalb lese ich abends oft Leichteres, wie zum Beispiel einen guten Krimi. Wenn ich aber zehnmal die gleiche Machart in den Händen gehalten habe, muss ich nicht unbedingt weiterlesen. Das muss dem Kunden so nicht gehen. Aber ich lege ein Buch durchaus nach 100 Seiten einfach zur Seite.

90.000 Bücher kommen jährlich auf den deutschsprachigen Markt, Tendenz steigend. Wie soll man das überblicken?

Ja, das ist immens! Man kann nicht alles überblicken. Die Vorauswahl seitens der Verlage ist eine Hilfe, was nicht ausschließt, dass es qualitative Ausreißer gibt.

Rolf Dobelli schickte seinen Roman „Fünfunddreissig“ nach Annahme durch einen Verlag an zwanzig weitere Verlage und bekam nur Absagen. Sind Bestseller Glückssache?

Es ist eine sehr verantwortungsvolle und schwierige Aufgabe, sich mit Exposés und Manuskripten zu befassen. Viele Autoren im Unterhaltungsbereich sind erfolgreich geworden, waren aber eher ein Zufallsfund.

Was fühlen Sie beim Betreten eines Buchladens?

Ich bin nach den langen Jahren in einer Buchhandlung ziemlich routiniert. Meine Frau arbeitete auch lange Jahre im Buchhandel. Wenn sie mich in fremden Städten in eine Buchhandlung ziehen will, weiß ich schon von außen, ob ich das will oder nicht.

Warum?

Weil man sieht, wie das Geschäft über die letzten Jahre schwieriger geworden ist. Das bildet sich vor allem in kleinen und mittleren Städten ab. Ich liebe es aber, wenn ich auf einer kleinen Verkaufsfläche sehe, dass da jemand etwas mit Sachverstand zusammengestellt hat.

Ist es immer noch so, dass die Menschen weniger stöbern, als nach Rezensionen zu kaufen?

Sowohl als auch. Für viele Menschen ist da nach wie vor eine Kompetenzerwartung an die Kritik, dass diese ihnen Kaufimpulse gibt. Sehr viele stöbern aber auch und wollen sich inspirieren lassen.

Manch ein Verlag bekommt bei den Worten „Influencer“ und „Blogger“ Schaum vor dem Mund, zu Recht?

Da muss man differenzieren. Wir starten jetzt eine Aktion, bei der ein Buchhändler und ein Blogger zusammen zwei Bücher als Weihnachtsempfehlung rausgeben. Ich bin gespannt, wie sich das entwickeln wird. Mit „Influencern“ meine ich aber Autorinnen und Autoren, die Selfpublisher waren und dann hier ihr Buch vorstellen und somit Publikum anziehen, das sonst nicht käme.

Sind Serien bei Netflix eine ernsthafte Konkurrenz?

Netflix ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Konkurrenz, bei der man tolle Geschichten auf spannende Art erleben kann. Weil die Zeit der Menschen endlich ist, ist es natürlich eine Konkurrenzsituation. Ich bin da auch immer hin- und hergerissen. In unserer Klassikabteilung sehe ich viele junge Menschen. Exemplarisch ist die junge Frau, die freiwillig Anna Karenina liest. Das stirbt nicht aus, es wird vielleicht weniger. Das macht mir Hoffnung.

Buchpreisbindung: Segen oder Fluch?

Ich würde sagen, Segen. Ich finde, dass sie eine Vielfalt im Programm garantiert und kleinen Verlagen und Auflagen eine Chance auf Wahrnehmung durch unsere Kunden sichert. Die Aufgabe von Buchhändlern sollte nicht sein, Bestseller mit reduzierten Preisen zu etikettieren.

Amazon: Segen oder Fluch?

Auf alle Fälle Fluch. Amazon bedient so vehement die Kundenbequemlichkeit und ist damit so präsent im Alltag, dass man dagegen nicht ankommt.

Geben Sie dazu mal ein Beispiel.

Wenn ein Buch hier nicht vorrätig ist, wirft uns der Kunde vor, extra hergekommen zu sein, obgleich er es doch bei Amazon hätte bestellen können.

Was sagen Sie dann?

Ich versuche zu erklären, warum das Buch nicht da ist, und verweise darauf, dass man auch bei uns portofrei bestellen kann. Innerlich denkt man sich manchmal, dass man es eben nicht ändern kann. Das ist frustrierend.

Und wie stehen Sie zu den Kunden, die sich erst beraten lassen und dann im Internet kaufen?

Ja, die wird es geben, aber das kann man natürlich nicht quantifizieren. Hingegen erlebe ich Kunden, die sich zuerst im Internet informieren und dann bei uns kaufen. Viele Kunden loben auch das Tolino-System. Sie wollten keinen Kindle, weil man damit an Amazon gebunden ist.

Finden Sie E-Books zu teuer?

Ich finde Bücher generell nicht zu teuer, und damit E-Books auch nicht. Im Unterhaltungsbereich gibt es immer günstige Angebote, aber wer den Bestseller will, der soll ihn auch digital bezahlen.

Es sind viele Gesundheitsratgeber auf den Bestsellerlisten. Sind das gute Bücher oder ist das ein Zeitgeistphänomen?

Natürlich ist es ein Hype, was nicht ausschließt, dass es ein gutes Buch ist. Hinter uns liegt zum Beispiel der Autor Bas Kast. Man kann sicher darüber streiten, ob das ein gutes Buch ist. Jedenfalls hilft es einem durch den Dschungel der Ernährungsratgeber.

Klaut heute noch jemand Bücher?

Es werden schon viele Bücher geklaut. Meistens Bestseller.

Hat sich Ihre Haltung gegenüber Kunden geändert?

Als ich frisch von der Uni kam und hier anfing, dachte ich mir schon manchmal, „Kannst du nix Anständiges lesen?!“. Eben die klassische buchhändlerische Arroganz. Das hat sich sehr schnell geändert. Schließlich arbeiten wir im Verkauf. Bei Hugendubel galt dann lange das Credo der Selbstorientierung. Wir halfen dem Kunden nur dann, wenn er aktiv gefragt hat. Das hat sich verändert. Kundenorientierung steht nun im Zentrum.

Überwiegen seltsame, nicht immer höfliche Kunden?

Nein. Man erinnert sich freilich aber länger an skurrile oder gar schlechte Erlebnisse.

Wie sieht Ihre heimische Bücherwand aus?

Meine Bibliothek ist wirklich groß. Ich habe eine Sammlung bibliophiler Ausgaben und dann ein Autorenverzeichnis von A bis Z.

Hat die moderne Technik Auswirkung auf unser Rezeptionsverhalten?

Das glaube ich auf jeden Fall. Mein 20-jähriger Sohn studiert Jura. Bei seinem Zeitmanagement hat er oft nicht den Willen und die Ausdauer, einen längeren Text zu lesen, der nicht Fachliteratur ist. Aber einer seiner Professoren gibt wöchentlich einen Literaturhinweis, und das Witzige ist, dass hier Leute herkommen, die Bücher wollen, von denen ich weiß, wer sie hierhergeschickt hat – Insiderwissen! Ich glaube aber doch, es entsteht langsam wieder ein Bewusstsein fürs Lesen. Man lernt durch das Lesen zu leben.

In der Literaturabteilung sehe ich häufig schenkungswillige Käufer, die „große Literatur“ als Präsent kaufen. Wird das echt gelesen oder ist das nur nette Geste?

Es ist eine Respektsbekundung und ein Sendungsbewusstsein. Ich sehe manchmal, dass man erzieherisch tätig werden will. Viel öfter aber erlebe ich, dass Kunden das weiterverschenken wollen, was für sie selber bedeutsam und wichtig war.

Wie sieht der Buchhandel in zehn Jahren aus?

Ich glaube, dass das Buch als haptisches, verschenkbares Element bleiben wird. Deshalb haben die Verlage die Haptik wieder als Verkaufsargument für sich entdeckt. In der Weihnachtszeit merken wir, dass besondere Gestaltung auch das Kaufverhalten positiv beeinflusst.

Sie haben hier Sitzecken, in denen auch Menschen sitzen, die lesen, ohne zu kaufen. Ist das ein soziales Angebot?

Bis zu einer gewissen Grenze. Manchen muss man beibringen, dass wir eine Buchhandlung und keine Bibliothek sind. Wir kennen regelmäßige Leser in unseren Sitzecken und erlauben das auch solange, soweit die Personen pfleglich mit der Ware umgehen.

Braucht man viele buchfremde Waren im Verkauf?

Wir runden damit unser Sortiment ab, aber das Buch steht selbstverständlich im Mittelpunkt.

Wenn früher alles besser war, wie ist es jetzt?

Auch gut (lacht). Ich bin nun 25 Jahre dabei und ertappe mich zuweilen bei rückwärtiger Verklärung. Man sollte aber mit der Zeit gehen und nicht der Vergangenheit hinterherweinen. Es gibt soviel hier zu entdecken. Dabei wollen wir helfen.

Zum Schluss noch ein Buchtipp?

Wenn Sie mich heute fragen, ist es der neue Roman von Michael Ondaatje, Kriegslicht. Seine Art zu schreiben schätze ich sehr.

Cut, Land und paste

Die Bilder dieser Ausgabe stammen von Künstlerinnenkollektiv Live Wild.

Ein Mix aus Collagen, GIFs, Video und Fotografie ist das, ein wildes Manifest: Das Kollektiv Live Wild will das Erbe der Dadaisten und der Fluxus-Bewegung antreten. Sieben junge Künstlerinnen bilden das Kollektiv, die Gründerin Camille Lévêque sieht Künstlerinnen zu sehr auf feministische Aspekte reduziert. Als hätte Kunst von Frauen keine andere Dimension. Das Kollektiv will mehr, „we are DADA-mad“. Mit dabei: Lila Khosrovian, Anna Hahoutoff, Marguerite Horay und Charlotte Fos, die Armenierin Lucie Khahoutian, die Ukrainerin Ina Lounguine. Sie leben und arbeiten verstreut in Europa, Russland, den USA und Kanada. Sie treffen sich jeden Tag online und auf Instagram. Mehr zur Philosophie auf: www.thelivewildcollective.com

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

Посилання:https://www.freitag.de/autoren/jan-c-behmann/wir-sind-sitzecke
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Дата публікації:10.10.2018 7:00:00
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Додано:10.10.2018 8:10:22




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