Резюме: | Minister Heiko Maas muss als Kind des atlantischen Zeitalters die Frage beantworten, wie Deutschland mit dessen Ende umgeht Im ostukrainischen Schyrokyne ist es so weit. Heiko Maas hat Frontberührung und sagt, was er schon während des gesamten Besuchs im Krisenstaat zum Besten gibt. Es müsse wieder einen politischen Prozess geben, man solle es noch einmal mit dem Normandie-Format versuchen – den Verhandlungen zwischen Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine –, um das 2015 geschlossene Minsker Abkommen vom Totenbett zu heben. Am 11. Juni sollen sich die vier Außenminister in Berlin treffen, dürften aber Ergebnisse schuldig bleiben, solange Kanzlerin Merkel und ihr neuer Außenminister die Regierung Poroschenko in dem Irrglauben belassen, ohne weitgehende Autonomie für den Donbass ließe sich ein Maß an territorialer Integrität wiederherstellen, wie es bis zum Sturz des Präsidenten Janukowytsch am 22. Februar 2014 bestand. Die Region in ihrem jetzigen Zustand ist für Russland eine Gewähr dafür, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine entfällt. Die Allianz nimmt Staaten mit ungelösten Territorialkonflikten nicht auf, um direkter Verwicklung – sprich: Beistandspflicht – zu entgehen. Wer einen seit vier Jahren schwelenden Krieg beenden will, hat daher keine andere Wahl, als den Status quo anzunehmen, ohne ihn anzuerkennen. Das sollte für einen Außenminister der SPD kein Sakrileg sein. Es gehörte zum ostpolitischen Verhaltenskodex von Willy Brandt und Helmut Schmidt, als gegeben zu respektieren, was man nicht ändern konnte. So wurde ein Vertragssystem mit der DDR möglich, die nicht diplomatisch anerkannt, aber wie ein souveräner Staat behandelt wurde. Ähnlich könnte in der Frage des Donbass verfahren werden: die Bindung an Russland respektieren, aber nicht anerkennen (trotz vehementer Proteste in Kiew) – und auf Gegenleistungen pochen, eine flächendeckende Blauhelm-Mission in der Ostukraine zum Beispiel. Enthobener Moralismus Will heißen, um den Stillstand im Ukraine-Konflikt zu überwinden, müsste der zuständige Minister über seinen Schatten springen. Was nicht geht, lohnt immer. Maas müsste von einem weltenthobenen Moralismus zu einem interessenbasierten Realismus wechseln. Und fertig wäre das eigene, unverwechselbare Projekt, über das – mit anderer Akzentuierung – auch seine Vorgänger verfügten. Guido Westerwelle tat sich als Außenminister einer CDU/CSU/FDP-Koalition hervor, indem er „Transformationspartnerschaften“ mit Staaten schloss, die ab 2011 in den Sog des Arabischen Frühlings geraten waren. Dank derartiger Allianzen sollte der politische Umsturz nicht in soziale Umbrüche münden, sondern dank westlicher Hilfe in die geordneten Bahnen des Systemerhalts. Nachfolger Frank-Walter Steinmeier, ab 2013 Außenamtschef einer Großen Koalition, machte von sich reden, als er dem Nahen Osten einen Weg empfahl, um die Region aus Krisen- und Kriegsnot zu befreien. Er verwies auf das Muster des Westfälischen Friedens, der 1648 einen Dreißigjährigen Krieg beenden half, weil für die damaligen Konfliktparteien Territorialgewinne wie konfessionelle Bindungen kühler Interessenanalyse wichen: Was brachte es, weiterzukämpfen, was, die Heere abzurüsten? Festgeschrieben wurde die strikte Trennung von Krieg und Frieden. Kein Sowohl-als-auch mehr, hieß die Devise. Für Staaten des Orients mit ihren sich überlagernden Konflikten sicher eine hilfreiche Folie, doch wegen der externen, großmächtigen Krisenpaten bis auf Weiteres unbrauchbar. Als Steinmeier im März 2017 zum Bundespräsidenten befördert wurde, versuchte sich Interimsminister Sigmar Gabriel als Realpolitiker und wollte die gegen Russland gerichtete Konfrontationsfront aufbrechen. Als er Anfang September 2017 so weit ging, die Sanktionen für überholt zu halten, und mit Blick auf die Ostukraine erklärte: „Lasst uns wenigstens einen Waffenstillstand durchsetzen, die schweren Waffen abziehen und als Belohnung dafür die Sanktionen aufheben“, ließ sich die Regierung in Kiew nicht lumpen. Gabriel wurde als „Appeasement-Politiker“ diffamiert und in die Nähe von Neville Chamberlain und Édouard Daladier gerückt, die 1938 mit dem Münchner Abkommen eine Politik zugunsten Hitler-Deutschlands betrieben hätten. Gabriel blieb unvollendet, der Hang zu rhetorischer Eskalation gegenüber Moskau bestehen, die Entfremdung ebenso, wofür es vor allem einen Grund gibt: Die geostrategische Domestizierung Russlands ist endgültig gescheitert, seit sie 2014 mit dem Herausbrechen der Ukraine aus dem postsowjetischen Staatenverbund auf die Spitze getrieben werden sollte. Um die letzten Illusionen über ein kooperatives Einvernehmen mit dem Westen gebracht, dient die russische Führung ihren Interessen seither mit kompromissloser Härte. Und trifft dabei seit kurzem auf einen Gegenspieler wie Heiko Maas, der ihr als beflissener Missionar in die Parade fährt. Kaum im Amt, bevorzugt der dritte sozialdemokratische Außenminister in zwei Jahren die harte Gangart. Begriffe wie Gegnerschaft und Abgrenzung sind ihm geläufig. Nur wer der Macht im Osten Grenzen aufzeige, werde als glaubwürdiger Emissär zwischen Russland und dem Westen wahrgenommen, ist Maas überzeugt. Bei seinem Antrittsbesuch am 10. Mai in Moskau allerdings hatten gerade die USA der deutschen Diplomatie Grenzen aufgezeigt und ungerührt den Atomvertrag mit Iran geschleift. Das vertragstreue Deutschland und das vertragstreue Russland saßen in Gestalt der Minister Maas und Lawrow am gleichen Tisch – hier der Erzieher, noch keine zwei Monate im Amt, daneben der Zögling, seit 14 Jahren Ressortchef. Man fragte sich unwillkürlich: Woher rührt die Anmaßung, woher die selbstgerechte Attitüde – warum ist ein Debütant wie Maas vor der ersten Begegnung mit einem Amtskollegen auf Maßregelung bedacht, anstatt abzuwarten und zuzuhören? Ist dieses Auftrumpfen darauf zurückzuführen, dass der Minister zu jener Spezies westdeutscher Politiker zählt, die ein hedonistisch gefärbtes Geltungsbedürfnis gern ins Gewand gesinnungsethischer Überlegenheit kleiden? Ende der 1990er Jahre hatten die grünen Frontleute dieses Kalibers vorgeführt, wie das bis zum Rechtfertigen von Interventionsmacht gegenüber Serbien führen konnte. Für den damaligen Außenminister Joschka Fischer sah aus dem sicheren Abstand seines Bonner Domizils die Provinz Kosovo doch sehr nach Auschwitz aus. Zwar fehlten die Selektionskommandos des Rudolf Höß, das Lagerorchester und das Zyklon B – aber sonst? Das Schlagen alter Schlachten Es zeugte von einem Verfall politischer und medialer Kultur, dass Fischer kaum auf Widerspruch oder Gegenwehr stieß. Im Namen westlichen Geltungswillens schien es opportun, der deutschen Geschichte einen solchen Dienst abzuverlangen. Nicht auszuschließen, dass damit – bewusst oder unbewusst – die Gewissheit antizipiert wurde, wieder berufen und befähigt zu sein, auf die Geschicke der Welt Einfluss zu nehmen. Schließlich gehörte die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 zu den Gewinnern der Geschichte. Man stand an der Seite der Westalliierten und konnte an der Demarkationslinie zwischen West und Ost eine Systemrelevanz beanspruchen, die von lästiger Kriegsschuld befreite. Es wurde zur Friedensdividende, als Teil des Westens ein Kriegsgewinnler zu sein. Man war im geteilten Deutschland mit seinen gegensätzlichen Besatzungshoheiten auf der materiell lukrativeren, zukunftsträchtigeren Seite gelandet und rechnete sich den historischen Zufall als biografisches Verdienst an. Eine davon begünstigte, moralisierende Hoffart der politischen Klasse zehrte von den Antagonismen zwischen West und Ost. Es musste nichts weiter bedient werden als die antikommunistische Bibeltreue der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Wen störte es, dass Feindbilder und Ressentiments gegenüber der Sowjetunion aus dunkler Zeit ererbt und erneut zum kategorischen Imperativ mutiert waren? Wenn Heiko Maas erklärt, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen, fragt man sich, ob für solcherart Bekennertum die 27 Millionen Kriegstoten der Sowjetunion von zweitrangiger Bedeutung sind. 1990 dann wurden aus den Nachkriegs- unversehens Wendegewinnler, die viel dafür taten, die um den Osten Deutschlands angereicherte Bundesrepublik als europäische Führungsmacht aufzubauen. Daran hatte die EU-Osterweiterung ihren Anteil wie eine Währungsunion, deren Konstruktionsfehler dazu führten, dass der Wendegewinnler bald zum Krisengewinnler wurde. Deutschlands Federführung beim Euro-Krisenmanagement war nichts sonst als von nationalen Interessen beherrschte Großmachtpolitik. Angela Merkel erinnerte in ihrer Beharrlichkeit an Wladimir Putin. Es hatte sich eben gelohnt, auf die europäische Integration und den Euro zu setzen, um Europa auskosten zu können. Was bis heute fehlt, ist der Aufstieg von der europäischen zur westlichen Führungsmacht, die über genügend normative Autorität verfügt, um vom westlichen Bündnisgefüge zu erhalten, was nach dem Abschwenken der USA auf eine nationalistisch-imperiale Agenda unverzichtbar ist. Um dem gerecht zu werden, braucht man freilich weniger moralgestützte Sanktionsdogmen gegenüber Russland als überzeugende Antworten auf die Frage: Wie stellt sich deutsche Außenpolitik auf den Übergang von einem westlich geprägten Multilateralismus zu einer „den Westen“ unterlaufenden Multipolarität ein? Wie wird auf das Ende des atlantischen Zeitalters reagiert? Worin aus seiner Sicht die Herausforderung besteht, hat im Dezember der geschäftsführende Außenminister Gabriel vor der Körber-Stiftung so auf den Punkt gebracht: „Entweder wir versuchen selbst, in dieser Welt zu gestalten, oder werden vom Rest der Welt gestaltet ...“ Weil sich der Gewinner vom Dienst totgesiegt hat? Sei es wegen einer erodierenden EU, eines fragilen Euro oder der misslungenen Verwestlichung Osteuropas, sei es durch ein zerrüttetes transatlantisches Verhältnis oder ein unberechenbares, Deutschland nicht wie gewohnt begünstigendes Welthandelssystem. Es ist das Mindeste, von Heiko Maas Auskünfte zu erwarten, wie sich Deutschland in einer Welt der vielen Fronten, verlorenen Gewissheiten und volatilen Allianzen einsortiert. Was bedeutet es, wenn heute die ideologische und sozialökonomische Divergenz zwischen den Großmächten weit geringer ausfällt als nach 1945, doch Konkurrenz zusehends in Gegnerschaft übergeht, die ohne Skrupel ausgetragen wird? Als ein Jünger reiner Westlichkeit bleibt Heiko Maas bisher den Beweis schuldig, in einer sich rasant verändernden Welt nach Überlebensmöglichkeiten Ausschau zu halten. Stattdessen werden alte Schlachten geschlagen, die nur dazu taugen, sich selbst zu genügen. Wenn dieser Außenminister in der Ukraine wie der propagandistische Herold eines korrupten Präsidenten wirkt, der eine makabre Geheimdienstinszenierung (Fall Babtschenko) zur „glänzenden Operation“ verklärt, geht die Zeit über ihn hinweg. Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag. |